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Termine:
  • 11.05.22: Stadtbibliothek Stuttgart
  • 31.12.21, 13:05: Deutschlandfunk Kultur
  • 15.10.21: Science Slam, Erlangen
Forschungspapiere:
  • Making Markets Just (pdf)
  • Justice as Social Bargain and Optimization Problem (pdf)
  • Growth imperatives: Substantia­ting a contested concept (SCED)
  • Wachstumszwang – eine Übersicht (pdf)... mehr
Medien und Rezeption

zum Buch
@RichtersOliver

Maßnahmen: vier Reformvorschläge zur Umsetzung

Hier reißen wir vier Reformvorschläge an, wie man die real existierende Marktwirtschaft reparieren kann, um das Ziel einer gerechten und nachhaltigen Wirtschaftsordnung zu realisieren. Im Details sind sie in unserem Buch beschrieben.

1. Ressourcenpolitik und Überwindung des Wachstumszwangs

Um innerhalb planetarer Grenzen zu wirtschaften, muss der Rohstoffverbrauch institutionell begrenzt werden – mit Anreizen allein kommen wir nicht weiter. Mit dieser Maßnahme wird sowohl ökologische Nachhaltigkeit erreichbar als auch das Leistungsprinzip gestärkt. Als marktkonformes Instrument bietet sich ein Lizenzhandel an („Cap & Trade“, siehe unten). Richtig rund wird die Sache, wenn die Einnahmen aus diesem Lizenzhandel in Form eines ökologischen Grundeinkommens an die Bürgerinnen und Bürger zurückfließen („Cap & Dividend“). Dadurch würden die zukünftigen höheren Preise für materielle Güter sozial neutralisiert, denn profitieren würden in diesem Modell jene, die ressourcensparsam leben, und das sind meist die, die weniger Geld haben. Außerdem dürfen die ökologischen Kosten von Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung nicht länger auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Damit kann auch das soziale Dilemma eines Wachstumszwangs gelindert werden.


Grafik: Grit Koalick.

Dem technologischen Wachstumszwang dadurch zu begegnen, dass man Erfindungen politisch einschränkt, ist weder sinnvoll noch durchsetzbar. Zielführender ist es, den Ressourcenverbrauch explizit so zu begrenzen, dass ökologische Grenzen eingehalten werden, anstatt (stets zu geringe) ökonomische Sparanreize zu setzen. Technische Innovationen werden dadurch sinnvoll umgelenkt: Statt Arbeit durch Ressourcenverbrauch zu ersetzen, was wegen der resultierenden Arbeitslosigkeit gesellschaftlich brisant ist, würden wünschenswerte Erfindungen gefördert, welche die Ressourcenproduktivität erhöhen.

Eine geeignete institutionelle Begrenzung des Verbrauchs kann über „Ressourcenlizenzen“ vorgenommen werden. Eine Mengensteuerung würde dafür sorgen, dass der Preis wirklich die (gewollte) Knappheit widerspiegelt. Sie ist einer Preissteuerung (z.B. Ökosteuern) vorzuziehen, denn Preise werden besser vom Markt gebildet als ihm vorgegeben. Wenn diese Lizenzen an einem Markt handelbar sind, kann die Fähigkeit von Märkten genutzt werden, knappe Ressourcen sinnvoll zu verteilen: Das Material würde dort landen, wo es den größten ökonomischen Nutzen entfaltet.

2. Bodenwertsteuern

Der Wert eines Grundstücks ergibt sich vor allem aus der Lage, deren Wert von öffentlichen Investitionen und der Nähe anderer Menschen abhängt. Dieser Wert kann heute vom Eigentümer als leistungsloses Einkommen privatisiert werden. Dies widerspricht dem Leistungsprinzip. Statt dessen könnten die Bodenwerte über Steuern für die Allgemeinheit nutzbar gemacht werden, beispielsweise um jene wertsteigernden öffentlichen Investitionen zu finanzieren.


Grafik: Grit Koalick.

Würde der Staat die Privatisierung der Bodenrente verhindern, könnte eine gerechtere und vermutlich weniger polarisierte Vermögensverteilung erzielt werden, mit positiven ökonomischen Auswirkungen, denn Bodensteuern haben mehrere Vorteile: Eine Bodensteuer kann kaum umgangen werden. Kapital mag ein „scheues Reh“ sein, Land kann hingegen nicht außer Landes fliehen. Während Kapitalsteuern Investitionen reduzieren und Lohnsteuern die geleistete Arbeit verringern, verschwindet Land nicht, wenn es besteuert wird – und wird nicht erzeugt, wenn es unbesteuert bleibt. Daher erzeugt eine Steuer auf ökonomische Renten ganz allgemein im Idealfall keine Wohlfahrtsverluste. Aus den Steuereinnahmen können die öffentlichen Investitionen refinanziert werden, die für die Wertsteigerung ursächlich sind. Steuern auf Löhne und Gewinne (also Kapitalerträge) aus individueller Leistung können im Gegenzug verringert werden.

Tatsächlich gab und gibt es konkrete Ansätze, gegen diese leistungslosen Einkommen etwas zu unternehmen. In Deutschland erbringt die Grundsteuer nahezu konjunkturunabhängig rund 15 Prozent der Gemeindesteuereinnahmen. Wichtig ist, dass die Grundsteuer in mehreren Ausprägungen existiert. Zumeist werden, wie in Deutschland und Österreich, Boden- und Gebäudewert gemeinsam besteuert. Andere Länder konzentrieren sich auf eine reine Bodenwertsteuer, die als geeigneter erscheint. International sind mit reinen Bodensteuern beispielsweise in Dänemark, Hongkong oder Singapur gute Erfahrungen gemacht worden.

3. Begrenzung von Größe und ökonomischer Macht

Große Unternehmen und sehr reiche Personen verfügen über die Macht, politische Entscheidungsprozesse zugunsten ihrer Interessen zu beeinflussen. In der Regel läuft das darauf hinaus, Wunschmärkte politisch gestaltet zu bekommen und Wettbewerb zu unterbinden, um leistungslose Einkommen erzielen zu können. Das ist weder demokratisch noch ökonomisch akzeptabel. Dem gilt es entgegenzuwirken, in dem die Größe und ökonomische Macht von Unternehmen und privaten Vermögen begrenzt wird. Marktwirtschaft und damit Gerechtigkeit können nur in machtarmen Strukturen funktionieren.


Grafik: Grit Koalick.

Das Bestreben von Menschen, Macht zu missbrauchen, ist anders nicht wirksam einzudämmen, als dass die Gesellschaft Machtkonzentration an sich verhindert. Neben politischen Beschränkungen wie bei der Gewaltenteilung ist auch die Größe von Konzernen und privaten Vermögen zu begrenzen. Großvermögen und wirtschaftliche Machtkörper sind aufzulösen, zu entflechten und zu verkleinern.

Eine solche Politikmaßnahme erscheint angesichts der wirtschaftlichen Rolle von Konzernen „unrealistisch“. Aber mit Konzernen werden wir ökologische Nachhaltigkeit kaum erreichen und wird Demokratie immer fragil bleiben. Es gibt für diese Art der ökonomischen Machtbegrenzung zudem historische Vorbilder und bewährte Mechanismen, die für Demokratien gangbar sind. Sogar im „Mutterland des Kapitalismus“, den USA, wurden damit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gute Erfahrungen gemacht. Mittels Anti-Trust-Gesetzen, neuen Institutionen auf Bundesebene und einer substantiellen Besteuerung hoher Einkommen wurde damals die staatliche Handlungsfähigkeit gegenüber mächtigen Wirtschaftsakteuren wieder hergestellt.

Über eine stark progressive Einkommensteuer in Verbindung mit einer schwach progressiven Vermögensteuer wäre eine faktische Obergrenze für Vermögen definiert, weil Akkumulation auf hohem Niveau immer schwieriger wird. Allerdings würde die sozial destabilisierende Einkommensungleichheit mit extrem hohen und extrem niedrigen Einkommen wohl ohnehin stark reduziert, wenn leistungslose Einkommen als solche konsequent verhindert würden.

4. Staatliche Geldschöpfung

Die heutige ungeschickte Organisation des Geldsystems verstärkt leider noch die Mechanismen, die den beschriebenen ökonomischen Problemen zugrunde liegen. Über die Geldschöpfung mittels Kredit können Geschäftsbanken faktisch selbst über die Geldmenge entscheiden, die in Umlauf ist. Geld kann dadurch seine originäre Funktion als „Leistungskonto“ und neutrales Kommunikationsmedium im ökonomischen Prozess nicht richtig wahrnehmen. Statt dessen besteht eine generelle Krisenanfälligkeit des Geldsystems sowie eine Schieflage zugunsten von Investitionen, die den ohnehin vorhandenen Wachstumszwang noch verstärkt.

Wir schlagen vor, den Banken die Geldschöpfung zu untersagen und auch Giralgeld zu gesetzlichem Zahlungsmittel zu machen, das von der Zentralbank bereitgestellt wird.

Unter Stichwörtern wie „Vollgeld“ oder „100%-Geld“ wird in der Debatte zum Geldsystem eine Reform der Geldschöpfung diskutiert. Man könnte den Geschäftsbanken die Schöpfung von Giralgeld wieder untersagen, wie man ihnen historisch schon einmal die Ausgabe eigener Banknoten untersagt hat. Der gesplittete Geldkreislauf würde überflüssig, alles Geld (Bargeld wie Giralgeld) wäre Zentralbankgeld. Damit wäre die kollektive Geldversorgung unabhängig von individueller Verschuldung. Die Banken würden nicht mehr die Geldversorgung der Wirtschaft übernehmen, sondern „nur noch“ die Umlenkung der Gelder (und damit von Leistungsansprüchen) an jene Stellen, die Bedarf für Leistungen haben. Sie wären weiterhin (oder vielmehr erst dann) die Fachleute für Finanzierung, also die Beurteilung von Chancen und Risiken privater Entscheidungen, einen Kredit aufnehmen zu wollen, und das Auftreiben (!) der entsprechenden Mittel.

Ironischerweise würde das Geldsystem dann in etwa so funktionieren, wie die meisten heute ohnehin glauben: Geld würde durch die Kanäle der Wirtschaft fließen, und Banken würden die Ersparnisse anderer Leute verleihen. Das Geldwesen würde wieder einfach und verständlich – es würde seiner sozialen Utopie der Neutralität ein gutes Stück näher kommen. Einfachheit und Verständlichkeit ist ein starkes Argument in sich, denn alle guten sozialen Institutionen sind strukturell einfach.

Literatur

  • Kapitel 5 bis 8 in unserem Buch (PDF/epub herunterladen).